Pressespiegel

„Ich lebe, weil mich meine Mutter beschützt hat“

Zeitzeugin Tamar Dreifuss im Gymnasium: Sie las heute aus dem Buch „Sag niemals, das ist dein letzter Weg“ vor.

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„Mit drei Jahren war ihre Kindheit vorbei“, stellte Klaus-Peter Rex in der Mensa des Gymnasiums eine weitere Zeitzeugin der NS-Greueltaten vor: Tamar Dreifuss. Sie war ein Jahr alt, als der 2. Weltkrieg ausbrach. Sie war drei, als ihre Odyssee begann. 78 Jahre alt ist sie heute. Die Lettin lebt in Pulheim. Dass sie überhaupt noch lebe, habe sie dem Mut einer einzigen Person zu verdanken, sagt sie den mehr als 120 Schülern – darunter auch eine Gruppe der Freien Aktiven Gesamtschule: „Ich lebe, weil mich meine Mutter beschützt hat“, sagt sie. Und so „ist diese Lesung auch eine Laudatio an meine Mama“.

„Sag niemals, das ist dein letzter Weg“ heißt das Buch, aus dem Dreifuss vorliest. In dem Buch hat ihre Mutter die Geschichte des Überlebens geschildert. Nach dem Tod ihrer Mutter im Jahr 1987 hat Dreifuss das Buch ins Deutsche übersetzt. Damit ist sie nun unterwegs, „um von diesen schrecklichen und erschreckenden Dingen zu berichten“.

Mit ihrer Mutter war sie in ein Kloster geflüchtet. „Du verstehst als so kleines Kind nicht, warum du deinen Namen nicht nennen darfst, warum du dich verstecken sollst“, sagt sie – und zuckt dabei mit den Schultern. Als die Nazis das Kloster auflösen, landet die Familie im Ghetto von Wilna. Ihre Großeltern werden Opfer von Massenerschießungen in einem Wald bei Ponar. 100.000 Menschen kamen dort ums Leben. „Der Wald ist heute ein stummer Zeuge“, so Tamar Dreifuss. Sie und ihre Mutter wurden wie Vieh weiter verfrachtet – nach Estland. In diesem Lager dann habe die Mutter die Judendsterne abgerissen. Und dann sind sie Hand in Hand aus dem KZ gegangen. Aufrecht. Selbstbewusst. Verängstigt. Aber unbehelligt. Bis zum Kriegsende haben sich Tochter und Mutter bei landwirtschaftlichen Gehöften durchgeschlagen.

„Die wundersame Rettung der kleinen Tamar“ ist ein Kinderbuch, das Dreifuss von ihren Enkeln inspiriert geschrieben hat. Eine Art Märchen in schlimmen Zeiten. „Kinder lieben Märchen“, sagt sie im Gymnasium, „weil sie ein gutes Ende haben.“ Und so sei ihre Geschichte auch ein wenig ein Märchen. „Denn am Ende lebe ich ja. Ich bin hier.“

Thomas Reuter / Taeglich.ME