Pressespiegel

„Die Schule ist stolz, Schüler wie Euch zu haben“

Vier Stolpersteine wurden in Wülfrath heute verlegt. Während Bildhauer Demnig routiniert und konzentriert die Steine einsetzt, erinnern die Schüler an die Menschen, deren Schicksal unvergessen sein soll.

 

Die drei Gymnasiasten (v.l.) Erik Hohnhorst, Hanna Albrecht und Andreas Schmitz mit dem Bildhauer Gunter Demnig. Foto: TME

Es sind hundertfach geübte Griffe: Mit zwei Meißeln lockert Bildhauer Gunter Demnig den rechteckigen Pflasterstein. Es dauert keine 30 Sekunden, dann hebt er ihn aus dem Loch. Mit Spachtel und Schäufelchen bereitet er den Grund. Dann setzt er die quadratischen Steine mit der Messingplatte oben ein. Schiebt noch einmal Erde und Sand beiseite, klopft mit dem Gummi-Hammer und schüttet dann ein Erd-Zement-Sand-Gemisch in die Lücken. Aus einem Kanister gibt er Wasser hinzu. Mit einem Handbesen kehrt er das Gemenge über die Mini-Baustelle, fegt schließlich alles sauber und wischt mit einem Papiertuch die Steine glänzend. Die ersten Stolpersteine des Tages sind eingebracht.

Es ist grau. Es ist trist. Es nieselt. Es ist unangenehm am Zuweg zum Panoramaradweg im ehemaligen Bahnhofsareal. Als blende er das Geschehen um sich herum aus, setzt Demnig die Steine gegen das Vergessen. Um ihn herum haben sich gut zwei Dutzend Menschen getroffen. Die meisten tragen Schirme. Bürgermeisterin Dr. Claudia Panke, Pfarrer Thomas Rehrmann, Die Linke-Fraktionschefin Ilona Küchler und auch der Leiter des Gymnasiums, Joachim Busch, zum Beispiel sind da. Busch sagt: „Wir als Lehrer, als Schule sind stolz, Schüler wie Euch zu haben“ und lenkt die Aufmerksamkeit auf die „Hauptdarsteller“ dieser uneitlen, stillen Feierstunde, die keine 15 Minuten dauert. 15 Minuten mit einem großen Nachhaltigkeitseffekt.

Wie von TME mehrfach berichtet, haben die angehenden Abiturienten Hanna Albrecht, Andreas Schmitz und Erik Hohnhorst neben dem Unterricht geforscht – in Archiven, in Gedenkstätten. Sie wollen an Opfer der NS-Diktatur erinnern. Historiker und Ex-DLW-Ratsherr Frank Homberg hatte das Projekt initiiert. Heute fehlt er. Die Arbeit… Gedankt wird ihm – insbesondere von den Schülern – ausdrücklich und mehrfach.

Voller Lob ist auch Bürgermeisterin Panke, die den Einsatz der Schüler würdigt. „Und vielleicht passt auch das Wetter heute“, sagt sie – schließlich war es damals eine dunkle Zeit. Das Wertvolle an dem Projekt sei zum einen die Leistung der Abiturienten, zum anderen aber eben auch das Erinnern daran, „dass die Nazi-Zeit seine Spuren auch im behüteten Wülfrath hinterlassen hat“.

Im Bereich des ehemaligen Bahnhof erinnern nun zwei Stolpersteine an die Eheleute Dreier. Er hatte für Kalk auf einer Lokomotive gearbeitet. Auf den Stolpersteinen sind ihre Daten eingeprägt. In Handarbeit. Ihre Schicksale haben die Abiturienten nachgezeichnet.

Entlassungsgesuch half ihm nicht

Andreas Schmitz zu Heinrich Dreier: „Heinrich Dreier wurde 1902 in Schlangen geboren. Im Alter von neun Jahren zog er mit seiner Familie nach Wülfrath und besuchte hier die evangelische Volksschule. Nach erfolgreichem Verlassen der Schule, arbeitete er in verschiedenen Fabriken in Wülfrath und Umgebung. Ab 1919 fand er bei den Rheinischen Kalkwerken Beschäftigung, bei denen er bis zu seiner Festnahme als Lokomotivführer arbeitete.

1925 kam er, durch Vorträge, mit den Zeugen Jehovas in Berührung und ließ sich schließlich 1927 umtaufen. Zwei Jahre später, im Jahr 1929, heiratete er Maria Deisen und drei Jahre später bekamen beide eine Tochter. Am 30.03.1944 wurde er, wegen Betätigung in der IBV (Internationale Bibelforschervereinigung), festgenommen und gegen ihn wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Trotz eines Entlassungsgesuchs seines bisherigen Arbeitgebers, blieb Heinrich Dreier im Polizeigefängnis Düsseldorf inhaftiert und wurde am 23.09.1944 in die Untersuchungshaftanstalt Wuppertal überführt. Heinrich Dreier überlebte den Nationalsozialismus.„

Ihr Schicksal ist ungeklärt

Ob seine Frau die Gefangenschaft überlebt hatte, ließ sich nicht ermitteln, wie Hanna Albrecht berichtet: „Maria Selma Dreier, geboren Deisen, wurde am 17. Februar 1898 in Mettmann geboren. Sie wurde in einer evangelischen Familie aufgezogen und besuchte die evangelische Volksschule hier in Wülfrath. 1930 ließ sich Frau Dreier zur Zeugin Jehovas umtaufen.

In ihrer Aussage bei der Geheimen Staatspolizei erklärt sie, dass sie seit dem Bibelforscher-Verbot von 1933 bis 1942 sich nicht als Bibelforscherin betätigt hat. Seit Mitte 1942 bekamen sie in regelmäßigen Abständen Besuch von einem Ehepaar, das Schriften mitbrachte und diese dann mit ihnen diskutierten. Frau Dreier leitete die Schriften an eine Nachbarsfamilie weiter, bis diese von dem Ehepaar wieder abgeholt wurden. Der letzte Schriftaustausch habe Ende November / Anfang Dezember 1943 stattgefunden.

Aufgrund ihrer Tätigeit als Bibelforscherin wurde sie am 11. April 1944 inhaftiert und später in das Gefängnis Düsseldorf gebracht.

Auch wenn Frau Dreier erst 1944 inhaftiert wurde, denken wir, dass sie ermordet wurde, da wir zu ihr keine Wiedergutmachungsakte finden konnten. Dies mag nicht selten der Fall sein, jedoch haben wir zu ihrem Ehemann Heinrich Dreier eine Wiedergutmachungsakte gefunden und vermuten, dass – wenn es zu ihm eine gibt – es zu ihr auch eine geben müsste.“

In seiner Dankesrede weist Erik Hohnhorst auf die vielfältige Unterstützung hin – speziell durch Geschichtslehrerin Angela Köhler. „Sie hat uns unter die Arme gegriffen, als das Projekt zu scheitern drohte“, deutet der 18-Jährige an, dass in der Forschungszeit auch Rückschläge hingenommen werden mussten. Sein Dank gilt aber auch den Spendern von Lhoist und dem Förderverein der Schule, der die Kosten für die Recherche übernommen hat. All den Helfern und engagierten Personen müsse applaudiert werden. Und das tun auch die vielen Mitschüler aus dem Geschichts-Leistungskurs reichlich.

Szenen- und Ortswechsel: Denn in der Innenstadt verlegt Gunter Demnig in der Heumarktstraße vor dem Haus 19 zwei weitere Stolpersteine.