Pressespiegel

Vom überzeugten Pimpf zum Hitler-Hasser

In der Reihe der Zeitzeugen-Gespräche besuchte heute Gerhard Laue das Gymnasium, der sich im Erfurt der 1940er Jahre vom begeisterten Anhänger des NS-Regimes zum Freund einer Widerstandsgruppe wandelte.

Gerhard Laue im Gespräch mit den Schülern Katharina Bremkamp und Tobias Finkenrath. Foto: TME

Sein Rat war still, aber eindringlich: „Eure Freiheiten heute sind keine Selbstverständlichkeiten.“ Heute könne jeder aussprechen, was er denke, sagte der 89-Jährige in der Mensa des Gymnasims. Als er auf die Schule ging, war das anders. Gerhard Laue lebt seit 60 Jahren in Wuppertal. „Aber Erfurt ist meine Heimatstadt.“ In der hat er die Nazi-Gräuel erlebt – zunächst als ein Kind, das mitmachte. Davon und wie sich das änderte, berichtete er heute vor dem Jahrgang Q2 und Schülern der neunten Jahrgangsstufe des Gymnasiums.

Wenn Zeitzeugen im Gymnasium über ihr Schicksal im Dritten Reich erzählen, ist es meist mucksmäuschenstill. Es sind schlimme, betroffen machende und verstörende Erinnerungen – Konzentrationslager, Flucht, Verfolgung… Auch heute hörten die Gymnasiasten zu. Und doch waren die Berichte Laues erst anders. Als er in die erste Klasse kam, trug sein Klassenlehrer auch mal SA-Uniform. „Alle waren von Hitler begeistert“, so Laue. Und in dieser Dauerberieselung war es die logische Konsequenz, dass auch er irgendwann in der Hitler-Jugend landete. Die Begeisterung für den Führer habe sich im Körper festgesetzt. „Wir kannten nichts anderes.“

Laue beschönigte nichts. „Auch ich habe als Kind bei Aktionen mitgemacht und Bücher ins Feuer geworfen.“ Er sei dabei gewesen, als vor Geschäften jüdischer Geschäftsleute üble Sprüche skandiert wurden. „Ich habe nicht mitgeschrieen. Das konnte ich nicht. Das war Läden, wo meine Familie einkaufen gingen, das waren doch nette Leute.“ Es blieb nicht beim Beschimpfen und Drohen… „Irgendwann war der Schuhverkäufer weg. Und unser Hausarzt auch.“ Man habe immer gehofft, dass sie geflohen seien. „Als sie nach dem Krieg nicht zurückkehrten, war klar, dass auch sie in Auschwitz getötet wurden.“

Je älter er wurde, umso mehr wuchsen die Zweifel in ihm. Der Bruch kam mit etwa 14 Jahren. 1942 – da verlor die deutsche Armee die Schlacht um Stalingrad. Diese Niederlage habe den ganzen Wahnsinn des Tyrannen Hitlers gezeigt. Er fing an Radio London zu hören und erkannte, „das wir systematisch belogen worden sind“.

Zu der Zeit entstand in Erfurt an der Handelsschule auch eine kleine Widerstandsgruppe, die mit Parolen wie „Nie mehr Hitler“ auf Wänden und Flugblättern ihre Meinung sagte. Laue war nicht Teil davon, ahnte aber etwas. In einem 2015 gedrehten Dokumentar-Kurzfilm hat er sich auf die Spuren von damals begeben. Die fünf Mitschüler wurden damals von der Gestapo verhaftet und vier weitere Mitwisser, darunter Laue.

Im Rückblick, sagt er heute, könne er immer noch nicht verstehen, wie das damals in den 30er und 40er Jahren geschehen konnte. Er sagte aber auch: „Ich glaube, dass auch Ihr – wenn Ihr in unserer Situation gewesen wäret – nicht anders gehandelt hättet.“ Laue sagt das ruhig und deutlich und stellt für sich fest, dass er sich vom Pimpf zum „richtigen Hitler-Hasser verändert“ habe.

Quelle: Taeglich.ME/Thomas Reuter