Pressespiegel

„Das ist unsere Verantwortung“

Als Zeitzeugen berichteten die Richter Wilfried Klein und Norbert Koep im Gymnasium über den Prozess, der in den 1980er Jahren dem KZ-Aufseher Gottfried Weise gemacht wurde.

v.l.: Norbert Koep, Wilfried Klein und Klaus-Peter Rex, der das Zeitzeugen-Gespräch wieder organisiert hatte, in der Mensa des Gymnasiums. Foto: TME

Am 28. Januar 1988 verurteilte die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Wuppertal den ehemaligen SS-Unterscharführer Gottfried Weise (1921-2002) wegen fünffachen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Nach den Feststellungen der Kammer war er ab Mai 1944 im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau für die Beaufsichtigung von weiblichen und männlichen „Sortierkommandos“ zuständig. Die Kammer war davon überzeugt, dass er während dieser Zeit mehrere Häftlinge eigenhändig durch gezielte Schüsse mit seiner Dienstpistole getötet hat, darunter einen Jungen von höchstens zehn Jahren. Das Urteil basierte auf der Vernehmung zahlreicher Zeugen, sowohl solcher, die zum Lagerpersonal gehörten, als auch von überlebenden Gefangenen. Richter waren damals Wilfried Klein und Norbert Koep. Beiden waren jetzt im Gymnasium Wülfrath, wo in der Mensa die Reihe der Zeitzeugen-Gespräche fortgesetzt wurden.

Zweimal im Jahr erinnern Zeitzeugen im Gymnasium an die Greueltaten des Dritten Reiches. Erschreckende, berührende, aufwühlende Details aus dem dunklen Kapitel der deutschen Geschichte machten in den vergangenen Jahren betroffen, wühlten auf. Diesmal erlebten die Schüler der Oberstufe einen neuen Blick auf die Geschehnisse – aus Richtersicht. Es war ein Prozess in den 1980er Jahr vor dem Landgericht in Wuppertal, der Schlagzeilen machte. Der Angeklagte Weise hatte zwei Spitznamen: Der „Einäugige“ und „Wilhelm Tell von Auschwitz“. Er stellte Gefangenen, auch Kindern, Konservendosen auf den Kopf und schoss sie herunter. Und tötete die Opfer anschließend. Nach dem Krieg lebte er als Bauführer in Solingen, musste sich ab 1986 wegen Mordes vor dem Wuppertaler Landgericht verantworten.

Klein und Koep – sie hatten das 250 Seiten umfassende Urteil von damals mitgebracht – berichteten sachlich und fast nüchtern über den Prozess – vor allem über die Schwierigkeiten, Zeugen zu finden. Dafür fuhren die Richter auch nach Budapest und Israel, um Zeugen zu vernehmen oder sie zu überzeugen, nach Wuppertal ins Gericht zu kommen. Damals, erinnerte sich Wilfried Klein, habe das Wuppertaler Presseamt die Botschaft verbreiten lassen, „dass wir Wuppertaler Bürger uns um die Zeugen kümmern werden, was sich als die richtige Geste erwies“.  So wurden Zeugen vom Flughafen abgeholt, wurden ihnen Anwälte zur Seite gestellt, ließ man sich auch in der Freizeit nicht allein. „So konnte ein Großteil der Zeugen bewegt werden, auszusagen.“

Das Gericht verurteilte Weise zu fünfmal lebenslänglich. Während des Prozesses war der Angeklagte auf freiem Fuß. „Nach dem Urteil wollten wir ihn wieder in Haft nehmen lassen“, so Klein. Doch das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte dem zunächst widersprochen. Als der Bundesgerichtshof später dann drei der fünf Fälle bestätigt hatte, gab es eine Panne. Von der Rechtskräftigkeit der Urteile erfuhr Weise zuerst – einen Tag vor der Staatsanwaltschaft. „Als Weise dann verhaftet und ins Gefängnis überführt werden sollte, hatte er sich in Richtung Schweiz abgesetzt“, so Klein. Nach einem Herzinfarkt wurde er dort drei, vier Monate später in einem Krankenhaus entdeckt und wurde an Deutschland ausgeliefert.

Im Gefängnis erkrankte Weise an Krebs. Seine Anwälte stellten den Antrag auf Begnadigung. Der stellvertretende Ministerpräsident Kniola begnadigte den Täter 1997. Weise starb 2002.

Auch heute noch, sagte Wilfried Klein, werden Täter des Holocaust gerichtlich verfolgt. Es sei wichtig, führte er vor den Schülern weiter aus, sich zu erinnern. „Wir leben nicht allein in dieser Welt“, sagte er. Man müsse aufeinander schauen. Man müsse sich umeinander kümmern. Ja, ums Kümmern geht es. Das reicht vom Mobbing auf dem Schulhof bis zu den aktuellen Vorkommnissen in Thüringen. Sich zu erinnern, sich zu kümmern. Das ist unsere Verantwortung.“

Von Thomas Reuter