Aktuelles

„Ihr seid meine Botschafter“ – Zeitzeugin Sara Atzmon

Zeitzeugin Sara Atzmon im Gymnasium Wülfrath

Sara-Atzmon-1140x500

„Was bedeutet eigentlich Shoa?“, fragt Sara Atzmons Enkelin am Anfang des Films „Holocaust light – gibt es nicht!“. In den folgenden 45 Minuten bekommt nicht nur sie diese Frage beantwortet. Die 12. Jahrgangsstufe sowie die Gruppe der Q1, die im nächsten Jahr nach Israel reisen wird, und einige Besucher der freien aktiven Schule sitzen in der Mensa. Alle schauen sie nach vorne auf die Leinwand, wo der Film über die Shoa berichtet – genauer gesagt, über einen ganz bestimmten Teil davon. Es geht um die Familie Gottdiener, deren 14. Kind Sara 1933 geboren wurde und um die schrecklichen Ereignisse, die sie erleben musste. Erst kam das Ghetto, 1944 dann wurde die Familie nach Auschwitz und in ein österreichisches Arbeitslager deportiert; später kam sie nach Bergen-Belsen, wo zu dieser Zeit auch Anne Frank gewesen war. Mit 12 Jahren kam Sara nach Israel, wo sie später ins Militär eintrat und heiratete. Erst nach 20 Jahren begann sie, über ihre Erlebnisse zu sprechen; später fing sie an, diese durch Kunst zu verarbeiten.

Doch der Film ist mehr als eine Beschreibung von Sara Atzmons Leben. Er holt die schrecklichen Ereignisse von vor 70 Jahren in die Gegenwart und stellt die Frage danach, wie heute damit umgegangen wird. „Langsam ist auch mal gut“, finden einige im Film interviewte Bürger. Eine Gruppe Jugendlicher weiß nicht mal, was der Holocaust ist – geschweige denn, dass sich die Gedenkstätte Bergen-Belsen nur wenige Kilometer von ihrem Wohnort entfernt befindet. Sara Atzmon versucht mit diesem Film, gegen das Vergessen zu kämpfen. Aber auch gegen Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz insgesamt. Im Film gezeigt wird ein jüdisches Restaurant in Chemnitz. Der Inhaber erzählt von Drohungen ihm gegenüber und hohen Sachschäden. Die Schüler teilen die Fassungslosigkeit, die Sara Atzmon im Film zeigt. Mit ihrer Enkelin, die zum Zeitpunkt des Films so alt ist, wie es Sara war, als sie deportiert wurde, besucht sie die Gedenkstätte des Konzentrationslagers Bergen-Belsen. Warum sie das tut? „Für die kommende Generation und für die, die gestorben sind“.

Das einzige, was die Aufmerksamkeit der Schüler vom Film ablenkt, ist die Ankunft der Frau, die man gerade auch auf der Leinwand sieht. Ein bisschen, als hätte man die gerade gesehene Geschichte geträumt und wäre nun aufgewacht. Während sie im Film noch mit Kreide den Davidsstern an eine Wand zeichnet und dazu schreibt „Du Mensch pass auf! Das darf nie wieder passieren!“, betritt Sara Atzmon nun den Raum. Da steht sie, mit ihrem Mann Uri. Zunächst werden Fragen gestellt. In wie weit ihr die Kunst hilft möchte zum Beispiel jemand wissen. Sara Atzmon erzählt, dass die Kunst keine Erklärung braucht, denn ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Auch sorge die Kunst für Kontakt mit Menschen. Noch einmal erzählt sie Ausschnitte aus ihrem Leben. Doch keinem kommt es vor, als stände da einfach jemand, der etwas erzählt. Sara Atzmons Erzählungen erzeugen Bilder. Sie mischen sich mit dem gerade Gesehenen zu Eindrücken, wie sie wohl kein Anwesender je erlebt hat. Sie macht eine Pause. „Warum ist das wichtig?“ fragt sie. „Warum ist es wichtig, dass ihr das hier erfahrt?“ Die zögerlichen Antworten genügen ihr nicht. Uri Atzmon ist aufgestanden und ergreift das Wort. Spricht davon, dass Wissen allein nicht genügt. Dass so etwas wie der Holocaust wieder passieren kann, wenn dagegen nichts unternommen wird. Unternehmen meint er wörtlich – er ruft die Jugendlichen zum Handeln gegen Hass und Fremdenfeindlichkeit auf. „Das ist wie mit einem Feuer: Wenn es ganz klein ist, löscht man es selbst. Ist es größer, ruft man die Feuerwehr. Aber irgendwann ist das Haus abgebrannt“. Und soweit darf es nie wieder kommen, da sind sich alle einig. „Ihr seid meine Botschafter“ sagt Sara Atzmon und ruft im nächsten Satz dazu auf, ihre Geschichte folgenden Generationen zu erzählen.

Nach diesem lehrreichen Vormittag werden sicher viele der Zuhörer dieser Bitte nachkommen. Wir danken Sara und Uri Atzmon für das Gespräch und wünschen ihnen alles Gute!

HD