Pressespiegel

“Keine Eltern. Keine Heimat. Keine Sprache”

Foto: TME

Im Gymnasium Wülfrath berichtete Natascha Braun über ihre Zeit als Zwangsarbeiterin im 2. Weltkrieg. Foto: TME

Natascha Braun wurde im Zweiten Weltkrieg von den Nazis aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt. Über ihre Erlebnisse erzählt die 90-Jährige im Gymnasium.

Sie ist aus der Ukraine in den letzten Kriegsjahren des Zweiten Weltkriegs verschleppt worden. Von den Nazis. Ins Bergische Land. In einer Erinnerung schreibt sie von “vielen Tränen” in dieser Zeit. Doch an diesem Freitagmorgen ist von dieser Traurigkeit bei Natascha Braun nichts zu spüren. Im Gymnasium erzählt sie vom Winter 1944, als sie nach Hahnenfurth kam. Die Zeitzeugin spricht laut. Und sie lächelt. Sie hat scheinbar ihren Frieden mit dem Grauen gemacht. Und sie sagt: “Ich hab’s gut getroffen.”

Sie wird am Sonntag 91. Jahr alt – am 9.11.

Mit langsamen, kleinen Schritten, gestützt auf zwei Stöcke, kommt die gebürtige Ukrainerin in den Raum 114. Langer Mantel. Schwarzer Hut. Ein mildes Lächeln. Klaus-Peter Rex, der Natascha Braun eingeladen hat, begleitet sie. In dem großen Klassenraum warten angehende Abiturienten und einige Geschichtsinteressierte aus jüngeren Jahrgangsstufen. Zwei Tage vor dem 9.11. – dem Tag der Reichspogromnacht, dem Tag des Mauerfalls, dem Tag ihres Geburtstags. Braun wird am Sonntag 91 Jahre alt.

Im Kuhwaggon über Polen nach Deutschland

Natascha Braun konnte sich den Nazis Jahre entziehen. Im Februar 1944 aber wurde sie verhaftet. “Da war ich 20, allso kaum ältter als ihr hier”, spricht sie die Gymnasiasten direkt an. “In einem Kuhwaggon”, erinnert sie sich, wurde sie abtransportiert. Der Zug fuhr erst in Richtung Polen. “Da war noch Stroh auf dem Boden”, sagt sie. Und ein Fass – für die Notdurft. 34 Personen waren insgesamt in dem Wagen. “Zu essen gab es nicht viel. Mal ein Stückchen Brot. Oder Käse. Aber der hat so gestunken, war so alt, den haben wir weggeworfen”, erzählt sie. Über Polen ging es nach Deutschland. “Es war Winter. Mit Eis und Schnee haben wir uns ein bisschen gewaschen.”

Mettmann und Hahnenfurth – das war schließlich die Endstation ihrer Deportation. Der Beginn einer schweren Zeit. Denn sie habe sich immer als Fremde gefühlt. “Keine Eltern. Keine Heimat. Keine Sprache. Ich war allein”, fasst sie ihre Gefühle zusammen. Sie hat für die Bahn gearbeitet – unter anderem als Schrankenwärterin. Und nach dem Krieg blieb sie im Bergischen Land. In Wuppertal wurde sie heimisch, heiratete sie. Und in dem Haus, das sie einst mit ihrem Mann gebaut hat, lebt sie noch heute. “Doch, ich hab’s gut getroffen”, sagt sie wiederholt im Gymnasium. Nur einmal wird sie ein bisschen ärgerlich – als sie über die aktuelle Situation in ihrer alten Heimat spricht: “Was der Putin da in der Ukraine macht”, gefällt ihr gar nicht, “aber die Regierung in der Ukraine auch nicht.”