Pressespiegel

„Vor jedem Menschen Achtung haben!“

Die 91-jährige Ruth Winkelmann besuchte gestern das Gymnasium und berichtete von der Nazizeit in Berlin.

 

Schulleiter Joachim Busch begrüßt – mit Lehrer Martin Szameitat (r.) und Initiator Klaus-Peter Rex – Zeitzeugin Ruth Winkelmann. Foto: TME

Am Ende hatte sie einen Appell für die Schüler der Q1 und Q2 des Gymnasiums in der vollen Mensa: „Nutzt alle schulischen Angebote aus, versucht vernünftig zu verdienen, damit eure Rente vernünftig ist“, sagte Ruth Winkelmann. Die 91-Jährige besuchte im Rahmen der Zeitzeugengespräche die Schule an der Kastanienallee.

Die Mensa war bei dem Besuch voll, die Schüler waren aufmerksam.

Ruth Winkelmann hat das Dritte Reich überlebt. Als Halbjüdin. Als Kind eines Juden und ein Christin. Viele Familienmitglieder kamen ums Leben in der Nazizeit. Im Gymnasium ließ sie ein Familienfoto umgehen. 15 Familienmitglieder seien ermordet worden, berichtet sie. Ihr Vater wurde 1943 abgeholt, deportiert und in Auschwitz getötet. Auch sie und ihre kleine Schwester hätten vor der Deportation gestanden, waren schon an einer Sammelstelle, als der dortige Wachhabende – scheinbar genervt – die beiden Mädchen wieder ziehen ließ.

Anders als andere Zeitzeugen, die das Gymnasium in den vergangenen Jahren besucht haben, liest Winkelmann ihre Aussagen vor. Es sind Erinnerung an die Reichsprogromnacht in Berlin, wo sie wohnte; an der alltäglichen Diskriminierung; von den Geschäften, in denen Juden nur von 15 bis 16 Uhr einkaufen durften; von der Zwangsarbeit als 14-Jährige in einer Uniformfabrik. Sie berichtet von der Laube, in der sie sich versteckten. Die Mutter habe gearbeitet. Ihre kleine Schwester habe – gerade sechs Jahre alt – manchmal 14 Stunden allein in der Laube ausharren müssen. Auch sie habe den Krieg nicht überlebt. Sie starb im Alter von acht Jahren an Diphterie.

Ruth Winkelmann streut aber auch immer wieder andere Geschichten ein, gibt diesen Überschriften – wie „Die Riesenwelle“. Diese machte nämlich ihr groß gewachsener (2,02m), blinder Opa an einem Reck im Garten. Oder sie erzählte von „Nappo“, dieser Süßigkeit, die sie sich mal für fünf Pfennige leisten konnte. Insgesamt aber geht es ihr darum, die Erinnerung an eine düstere Zeit wach zu halten, die Vergangenheit nicht zu vergessen. „Wir müssen vor jedem Menschen Achtung haben. Das muss man immer denken“, sagt sie den Gymnasiasten. Auf die Nachfrage einer Schülerin bekennt sie: „Eine Halbjüdin zu sein, ist eigentlich eine Auszeichnung. Ich fühle mich nicht exotisch.“

Von Thomas Reuter